Ein Etikett muss auf wenigen Quadratzentimetern informieren, zugleich Aufmerksamkeit im Regal erregen, Preiswahrnehmung steuern und emotionale Geschichten transportieren – kurz: es ist das visuelle Versprechen an die Kundin oder den Kunden.
Wer sich für Etiketten-Design von Spirituosen und anderen alkoholhaltigen Getränken interessiert, der trifft früher oder später, in der Regel eher früher, auf den Namen führender Design-Agenturen. Schaut man sich die ausgezeichneten Designs an, haben diese gar nichts mehr mit schlichten Papieretiketten der Vergangenheit zu tun. Zum modernen Produktdesign gehören neben dem Etikett natürlich auch Flasche, Verschluss und Verpackung. Auf ihrer Webseite beschreiben z. B. die Profis der Produkt-Design-Agentur „Stranger & Stranger“ ihre Aufgabe eher trocken und unprätentiös: „Wir sorgen für den ersten Verkauf, der zweite hängt von Ihrem Produkt ab.“
Und dieser erste Verkauf hat meist relativ wenig mit dem Geschmack zu tun, es sein denn, er findet im Rahmen einer Verkostung statt. In allen anderen Fällen sehen wir das Produkt nur und können es allenfalls noch in die Hand nehmen: Dann entscheiden Etikett, Form und Haptik der Flasche, Verpackung und Verschluss. Über den zweiten Kauf entscheidet der Geschmack, und ob dieser die Erwartungen, die das Design geweckt hat, auch erfüllen kann. Daher ist das Produktdesign gerade bei Marktneueinführungen so wichtig. Dann hat das Design einen ganz klaren Zweck – denjenigen, zum ersten Kauf anzuregen und die Marke zu etablieren. Etwas anders verhält es sich bei alteingeführten Marken, deren Etiketten-Gestaltungen Potential zum Kultstatus haben, gerade weil sie Jahrzehnte fast unangetastet überdauert haben und im kollektiven Konsumentengedächtnis tief verankert sind.
Bild oben: Preisgekröntes Design: Brad Pitt`s The Gardener Gin
Trend zu kunstvoll gestalteten Etiketten und Flaschen
Mit den Crafts Spirits hielten neue Produkt-Designs in die Spirituosenwelt Einzug. Erinnern wir uns kurz daran, wie der Sloe Gin „Monkey 47“ aus dem Schwarzwald überrascht hat: Mit einem Affen auf dem Etikett und in einer braunen Flasche, die mehr an eine Apotheke erinnert als eine Brennerei. Mit den dynamischen kleineren Crafts-Spirits-Manufakturen war quasi ein neuer Ideen-Wettbewerb der Produktgestaltung im Spirituosenbereich entbrannt. Ähnliche Entwicklungen fanden auch international statt.
Aber mit Kunst im reinen Wortsinn hat das erst einmal nichts zu tun, denn Kunst dient per se dem „Selbstausdruck“ und keinem vorgegebenen Zweck. Trotzdem verwischen die Grenzen, wenn z. B. Unternehmen Künstlerinnen und Künstler beauftragen, Etiketten zu gestalten für limitierte Editionen. Dann hat das Unternehmen nur einen beschränkten Einfluss auf die Gestaltung, die der Künstler wählt. Das spricht für einen relativ selbstbewussten Umgang mit der eigenen Marke, wenn sie ohne Vorgaben, oder zumindest mit wenigen Vorgaben, für einen Künstler/ eine Künstlerin als Plattform zur Verfügung gestellt wird.
Etwas anders liegt die Sache, wenn eine Marke die (lizensierte) Kunst eines Künstlers nutzt, um eine Sonderedition in limitierter Auflage herauszugeben. Dann soll die „Verknappung durch Limitierung“ in Kombination mit der Reproduktion von Kunst dem Produkt einen besonderen Wert verleihen wie z. B. der Absolut Vodka in der Andy Warhol oder Keith Haring Edition als Hommage an die beiden Pop Art Künstler. Wenn der Hersteller das als „wahres Kunstwerk in limitierter Auflage“ bezeichnet, ist der Kunstbegriff schon eher weit gedehnt. Aber am Ende darf der Verbraucher entscheiden, ob ihm das gefällt oder nicht.
Legt man theoretische Maßstäbe an, dann ist das Etikett eher nicht die reine, „zweckfreie Kunst“, aber eben doch zumindest Produktdesign mit künstlerischen Elementen, das im gekonnten und überraschenden Zusammenspiel unseren Blick und damit unsere Aufmerksamkeit einfängt. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis man das Produkt in die Hand nimmt, die Form und Haptik fühlt und es in den Einkaufswagen legt.
Das Unterbewusstsein spielt dabei eine wichtige Rolle, denn mit der Wahrnehmung von Etikett und Flasche wachsen ganz spezielle Erwartungen an das Produkt. Diese Erwartungen betreffen nicht ausschließlich den Geschmack, sondern auch die Erlebnisdimensionen: Teilweise sind z. B. Form und Namen von Spirituosen von der Prohibition abgeleitet. Natürlich wird der moderne „Moonshine“ heutzutage legal hergestellt, aber das Design verleiht dem Trinkerlebnis einen Hauch von Verbotenem, mit dem sich der Konsument bewusst vom Mainstream absetzen kann.
Dem Produktdesign sind heute technisch kaum Grenzen gesetzt
Etiketten gibt es in allen Materialien und Farben, sogar immer häufiger auch in schwarz, mit außergewöhnlichen Papieren, Stempeln, Prägungen und in allen Formen und Größen. Auch bei der Gestaltung der Flaschen ermöglichen modernste Herstellungsverfahren alles, was sich Designer ausdenken können.
Am Ende bleibt aber immer eines für den Erfolg entscheidend: können Qualität und Geschmack der Spirituose die Erwartungen der Gestaltung erfüllen oder sogar übertreffen? Wenn nicht, gibt es einen Trost: eine schön gestaltete Flasche macht optisch in der heimischen Bar immer eine gute Figur…
Aktuelle Trends für fachlich interessierte Leserinnen und Leser:
- Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr, sondern ein Designtreiber. Marken setzen auf recycelbare Papiere, reduzierte Druckfarben, wiederverwendbare Umverpackungen oder komplett neue Konzepte wie nachfüllbare Flaschen und Multi-Use-Packaging – nicht nur aus Imagegründen, sondern weil Jurys und Handel nachhaltige Konzepte honorieren. Wettbewerbe und Branchenmagazine loben Verpackungen, die Umweltaspekte intelligent mit Premiumästhetik verbinden.
- Premiumisierung durch Haptik und Form: Prägungen, Blindprägung, Heißfolien, strukturierte Papiere und ungewöhnliche Flaschenformen signalisieren Wertigkeit beim ersten Griff. Gerade im Handel, wo die Kaufentscheidung oft impulsiv fällt, erzeugt ein taktiles Etikett ein stärkeres Erinnerungssignal als nur ein schönes Bild.
- Storytelling und Herkunft: Konsumenten wollen wissen, wo das Produkt herkommt und von wem es stammt. Das Etikett wird zur Miniatur-Markengeschichte: Landkarten, Illustrationen der Brennerei, handschriftliche Notizen oder QR-Links zu Gründergeschichten sind üblich geworden.
- Interaktive und digitale Elemente: QR-Codes, AR (Augmented Reality) -Erlebnisse und akustische Features (z. B. beim Scannen) erlauben es, zusätzliche Inhalte bereitzustellen — Verkostungsnotizen, Cocktailrezepte, Videos vom Master Distiller. Immer häufiger werden auf dem Rückenetikett von den Herstellern freiwillig Hinweise für einen maßvollen Genuss und Links zu digitalen Verbraucherinformationen integriert.
- Limited Editions: Kooperationen und künstlerische Etiketten. Künstler-Kooperationen und limitiertes Packaging schaffen Sammelbarkeit und PR-Effekte.