Was wir als „Geschmack“ erleben, ist ein komplexes Zusammenspiel unserer Sinne, vor allem von Geruchs- und Geschmackssinn. Aber nicht nur „Schmecken“, „Riechen“, „Sehen“, „Fühlen“ und „Hören“ beeinflussen, wie uns etwas schmeckt. Wie, wo, womit und mit wem wir essen und trinken, hat ebenso Einfluss auf unser Geschmacksempfinden, denn „Geschmack“ ist auch „Kopfsache“. Für den bewussten Genuss ist es also wichtig, seine Sinne zu schärfen. Es ist ein Teil des Genießens, ein alkoholhaltiges Getränk zu beschreiben, die vielfältigen Gerüche und Geschmacksnuancen zu entdecken. Je geschulter unsere Wahrnehmung ist, desto intensiver und komplexer wird der Geschmack erlebt. Unsere Sinnesorgane können theoretisch unfassbar viele unterschiedliche Nuancen wahrnehmen. Das braucht natürlich Zeit und Muße, die Sie sich bewusst gönnen sollten.
Sehen - „Das Auge isst (trinkt) mit“
Die optische Wahrnehmung vermittelt uns einen ersten Eindruck der Spirituose. Ist das Getränk farblos oder farbig? Nach der Destillation sind Spirituosen - unabhängig vom Rohstoff - in der Regel farblos. Spirituosen erhalten oft erst durch die Reifung in einem Holzfass ihre charakteristische Farbe. Die Art des verwendeten Holzes und der Zustand eines Fasses bestimmen die Farbe der Spirituose. Während Fässer aus amerikanischer Weißeiche eine strohfarbene Nuance erzeugen, verleihen europäische Eichen eine deutlich dunklere, ins rötliche gehende Farbe. Die Farbpalette reicht von hellen über bernsteinfarbenen bis zu dunklen Farbtönen. Bei Frucht- und Kräuterlikören wird die Technik der „Mazeration“ angewendet, um auf natürlichem Wege unterschiedlichste Farbtöne zu erhalten. Durch langes Einlegen der Zutaten werden die pflanzlichen Farb- und Aromastoffe für die Spirituose gewonnen. Die Farbe kann uns also unter anderem Aufschluss über die Art der Reifung und über die verwendeten Zutaten geben.
Die beim Schwenken von alkoholhaltigen Getränken entstehenden Schlieren an der Glaswand verraten uns einiges über den Alkoholgehalt: Anhaltspunkte sind hierbei Form und Beständigkeit der zu beobachtenden „Schlieren“, auch „Kirchenfenster“ oder „Tränen“ genannt. Ein höherer Alkoholgehalt führt zu dickeren „Tränen“ und spitzbögigen „Kirchenfenstern“. Ist der Alkoholgehalt geringer, bilden sich schwächere Tränen und eher rundliche Fensterbögen aus. Beeinflusst wird dieser sogenannte „Marangoni-Effekt“ auch durch die Form des verwendeten Glases. Wird das Glas nach oben hin schmaler, verstärkt es die Schlierenbildung und -haftung.
Riechen - „Der Geruchssinn spielt beim Genuss eine wichtige Rolle“
Nach der optischen Wahrnehmung kommt die „olfaktorische“: Welche Gerüche sind wahrzunehmen? Spezielle „Nosing-Gläser“, vergleichsweise kleine, sich verjüngende Gläser mit einem breiten Bauch, eignen sich für die Geruchswahrnehmung besonders gut. Grappagläser z. B. erfüllen genau diese Eigenschaften. Die Form des Glases hilft dabei, die Aromen der Spirituose gebündelt und unverfälscht zur Nase zu transportieren. Ein bewusster Genießer kann den ersten Geruchseindruck leicht in Worte fassen: Riecht die Spirituose intensiv, zart, fruchtig oder schwer? Eine genauere Beschreibung der komplexen Gerüche und Aromen geht dann ins Detail: Welche Früchte, Kräuter oder Gewürze lassen sich identifizieren? Sind bestimmte Geruchskomponenten prägnanter als andere? Um die vielfältigen Gerüche von Spirituosen und die verwendeten Zutaten unterscheiden und benennen zu können, braucht es einen geschulten Geruchssinn. Riechen kann man trainieren und nur, wer sich Zeit lässt, kann alle unterschiedlichen Geruchsnuancen identifizieren und wahrnehmen. So wird aus dem Genuss eine komplexe Sinneswahrnehmung.
Wie funktioniert das Riechen?
Jeder Duft setzt sich aus unterschiedlichen Duftmolekülen zusammen. Jedes Duftmolekül dockt - entsprechend dem Schlüssel-Schloss-Prinzip - an einem speziellen Rezeptor an. Wird eine bestimmte Kombination von Rezeptoren aktiviert, löst dies einen elektrischen Stromimpuls aus, der zum Gehirn weitergeleitet wird: ein bestimmter Duft wird wahrgenommen. Der Mensch besitzt übrigens rund 350 verschiedene Arten von Duftrezeptoren, die sich auf den geschätzt 20 bis 30 Millionen Riechzellen in der Nasenschleimhaut befinden. Je nach Zusammensetzung der beteiligten Duftmoleküle verändert sich das Aktivierungsmuster im Gehirn: die Anzahl unterscheidbarer Gerüche ist somit unermesslich groß.
Schmecken - „Eine Kombination der Grundgeschmäcker“
Was wir mit den Geschmacksknospen - vor allem auf der Zunge - wahrnehmen, sind in erster Linie die Geschmacksrichtungen „süß“, „sauer“, „bitter“, „salzig“ und „umami“. „Umami“ ist die Bezeichnung für einen Geschmackseindruck, der häufig als „herzhaft“ oder „fleischig“ beschrieben wird. Aus den Kombinationsmöglichkeiten dieser Grundgeschmäcker ergeben sich viele weitere Geschmacksrichtungen. Während bei einem Fruchtlikör oftmals „süß-saure“ Noten den Geschmack prägen, sind bei einem Kräuterlikör „bitter-süße“ Geschmacksnoten vorherrschend. Aber beim Trinken der Spirituose nehmen wir weit mehr wahr als die Grundgeschmäcker. Fruchtige Aromen wie Apfel, Zitrusfrüchte oder Beeren. Florale Noten wie Wiese, Blume oder Heu, süße Noten wie Honig, Karamell oder Vanille, würzige und nussige Noten wie Haselnuss, Kaffee oder Zimt. Die Vielfalt bei der Beschreibung der verschiedenen Geschmackseindrücke ist riesig. Hierfür verantwortlich sind jedoch nicht allein die Geschmacksknospen auf der Zunge (der physiologische Geschmackssinn), sondern auch die „retronasale Wahrnehmung“. Trinken wir eine Spirituose, dann werden Aromen freigesetzt, die vom Rachenraum über breite Kanäle in die Nasenhöhle gelangen. Wie beim „normalen“ Riechen („orthonasale Wahrnehmung“) nehmen wir auch beim Essen und Trinken Düfte wahr. Was wir gemeinhin als „Geschmack“ bezeichnen, ist also immer ein Zusammenspiel von Geruchs- und Geschmackssinn. Fest steht: Ohne Geruchssinn können wir unser Essen und Trinken nicht genießen – alles schmeckt fade. Das liegt daran, dass vieles, was wir als „Schmecken“ bezeichnen, eigentlich mit dem Riechen zusammenhängt. Während die Geschmacksknospen auf der Zunge die grobe Richtung vorgeben, ermöglicht der Geruchssinn die Wahrnehmung von feinen Geruchsnuancen und rundet das Geschmackserleben ab.